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08 / Aug / 2016      

08.08.2016. Digitale Achtsamkeit gegen digitale Demenz.

Übertriebene Nutzung digitaler Medien ist ausreichend bejammert worden. Dystopien einer Welt voller autistischer Zombies ohne menschliche Kernkompetenzen – Stichwort: Smombie – schließen wir uns hier nicht an. Werfen wir lieber einen Blick auf die Rettung am Horizont: den Achtsamkeitstrend.

Fokussierung ist ein Grundbedürfnis.
Die meisten Menschen spüren, dass sich digitale Dauerpräsenz “irgendwie” nicht gut anfühlt. Das ist aber auch wissenschaftlich nachweisbar. “Der Stirnlappen eines Internetsüchtigen ähnelt dem eines Demenzkranken”*. Die Konzentrationsfähigkeit, das Urteilsvermögen und die Fähigkeit, schnell zentrale Information zu erfassen, sinken.
Sabria David, Leiterin des Slow Media Institut in Bonn hat in einer Slow-Types Studie ermittelt, dass es für 93% der Bundesbürger sehr wichtig ist, sich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was sie gerade tun. Fokussierung, und das ist eine recht neue Erkenntnis, ist ein Grundbedürfnis und sollte nicht unterschätzt werden**.

Der Achtsamkeitstrend.
Der Gegentrend zu diesem mentalen, digitalen Overkill ist bereits im vollen Gange. Mathias Horx prognostiziert im Zukunftsreport 2016 Achtsamkeit als den Metatrend***. Viele Bereiche hat er ja schon erfasst. Wir konsumieren bewusster, wir ernähren uns bewusster, wir gehen bewusster mit der Umwelt um.

Dieser Achtsamkeitstrend betrifft nun auch zunehmend das digitale Verhalten. Der Grund dafür sind nicht nur die oben beschriebenen emotionalen und physischen Auswirkungen. Das Unwohlsein bei dem Gedanken, zu viel von sich preiszugeben und die Angst vor Datenklau spielen auch eine Rolle. Außerdem die nachlassende Faszination für das neueste, gehypte “Ding”. Digitale Innovationen steigen expotenzial an – immer schneller immer toller. Doch wer hat Lust, andauernd auf den neuesten Zug aufzuspringen, wenn im Minutentakt der nächste kommt?

Immer mehr Firmen machen digitale “Diät”.
Inzwischen erkennen auch mehr und mehr Unternehmen, wie positiv sich digitale Achtsamkeit auf die Konzentration, Gesundheit, Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirkt. Manager/innen werden Digital-Detox-Seminare verordnet. Die Nutzung digitaler Tools wird reglementierter. Es gibt z.B. feste Zeiten, zum Nachrichten checken und feste Zeiten, in denen man offline bleibt. Bei der Eindämmung der internen Mailflut helfen betriebsinterne Wikis, präzise Adressierung, bessere Organisation und mehr offline Kommunikation. Mercedes verordnet Mitarbeitern im Urlaub auch digitale Abwesenheit aus dem Büro, der Pharmakonzern Genentech betreibt ein ehrgeiziges Mindfulness-Programm und selbst Larry Page empfiehlt, das Smartphone während des Mittagessens abzuschalten.****

Damit digitale Achtsamkeit zum Erfolgsrezept wird, darf man sich nicht auf Standardzutaten verlassen. Jedes Unternehmen, jede Abteilung, im Grunde jeder Mitarbeiter muss einen individuellen Weg finden. Der zwanzigjährige Azubi braucht sicher andere digitale “Abspeckmethoden” als der 50-jährige CEO.
Wie immer gilt: Alle hehren Ziele bleiben leere Theorie, wenn sie schlecht umsetzbar sind, nicht zur Unternehmenskultur passen oder von der Führungsetage nicht mitgetragen und vorgelebt werden. Was nützt es, Mitarbeiter dazu aufzufordern, sich nach Feierabend und im Urlaub auch digital aus der Firma fernzuhalten, wenn Vorgesetzte um 10 Uhr abends Nachrichten schicken und es für den Urlaub keine ernst zu nehmende Vertretungsregelung gibt. Hinzu kommt: Ehrgeizige Leute werden ihr “digitales Revier”***** nie ohne Rückendeckung aus den Augen lassen.

Zwischenbilanz.
Achtsamkeit im Unternehmenskontext ist noch zu wenig untersucht, erklärt die Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel. “Nicht alles, was an Trainings angeboten wird, bringt die Unternehmen wirklich weiter (…) es bedarf regelmäßiger Übung”. Michael Dumpert, Direktor Unternehmensentwicklung der Sparda-Bank München kann jedoch schon mit Erfolgsmeldungen aufwarten. “Unsere Bilanz unterstreicht, dass man mit Achtsamkeitsmaßnahmen tatsächlich effizienter wird. Und nicht, wie vielfach angenommen, durch den Einsatz bestimmter IT-Lösungen.”******

So, aber jetzt schnell mal eben WhatsApp checken.

* blog.kpmg.de/digital/digitale-demenz-warum-die-digitale-welt-uns-krank-macht/
** Sabria David. “Bewusst Zeit für Konzentration schaffen”. In: Personalwirtschaft 5/16.
*** zukunftsinstitut.de/artikel/tup-digital/06-innovation-gap/07-future-forecast-2016/gibt-es-einen-megatrend-achtsamkeit/
**** zukunftsinstitut.de/artikel/tup-digital/06-innovation-gap/07-future-forecast-2016/gibt-es-einen-megatrend-achtsamkeit/
***** Sabria David. “Bewusst Zeit für Konzentration schaffen”. In: Personalwirtschaft 5/16.
****** “Wenn Leistungsträger innehalten”. In: Personalwirtschaft 5/16.